Autor Thema: Die Dinge immer sehr technisch sehen  (Gelesen 5042 mal)

Offline Sebi087

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Die Dinge immer sehr technisch sehen
« am: 11.11.14 - 12:01:28 »
Hallo Zusammen,

regelmäßig passiert es mir bei Anforderungen, dass ich die Sichtweise der Anwender "vergesse" bzw. übersehe und damit die Dinge einfach aus technischer Sicht (Aus der Sicht des Admins bzw. Entwicklers) sehe und regelmäßig fang ich mir dazu einen ein, weil es heißt betrachten Sie bitte die Anwendersicht.

Mir fällt das meistens aber nicht so leicht die Anwendersicht zu sehen...

Habt ihr da Tipps oder geht euch das ähnlich und was macht ihr dagegen?

Viele Grüße,
Sebastian

Offline flaite

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Re: Die Dinge immer sehr technisch sehen
« Antwort #1 am: 11.11.14 - 18:34:38 »
In einer besseren Welt würden die sich die Mühe machen zu erklären, was sie unter Anwendersicht verstehen.
Gute Business-Analysten machen auch Vorschläge, wie nach ihren Vorstellungen eine GUI aussehen soll. Richtig gute machen einen Workshop mit Anwendern und Entwicklern. Hab mal auf einer Konferenz eine dänische GUI Spezialistin gesehen, die vorschlug, die Suche nach der GUI Spezifikation als eine Art Kindergarten-Bastelspass zu organisieren. Die einzelnen Screens, Felder/ Ansichten konnten dann die Beteiligten aus bunter Pappe ausschneiden und zusammenpuzzeln.

Ansonsten:
- möglichst wenig Klicks für Anwender, v.a. für häufige Aufgaben, wobei man die natürlich kennen muss.
- technische Personen neigen zu "zu eng fokussierten" features.
Beispiel (nicht Notes): Du hast eine Ansicht mit 3 Spalten. Wenn man dann nur Filterfelder einbauen will, würde ein Entwickler immer 3 Filterfelder anbieten (eins pro Spalte). Anwender wollen aber nach meiner Erfahrung eher 1 Filterfeld, das dann für alle Felder gilt. Eng fokussiert besitzt aus Entwicklersicht weniger Risiken von Seiteneffekten.

Wenns an die Planung von Workflows geht, neigen übrigens Anwender dazu, die zu kompliziert zu gestalten. Gleiches gilt für Berechtigungskonzepte. Läuft die Anwendung ein paar Wochen, wollen die das oft vereinfachen.

Achtung: Usability kann in einigen Fällen in einen Zielkonflikt mit notwendigen Sicherheitsfeatures geraten. Manchmal wird aber Sicherheit von Entwicklern als Scheinargument genutzt.

Natürlich führt eine bessere Usability auch leicht zu komplexerer Programmierung. Wenn der Entwickler das aber gemanaged bekommt, d.h. auch: das Ding bleibt maintainable, lohnt es sich oft. Wenn ich z.Zt. mit JSF komplexe Sachen mache, sprech ich das irgendwann mit dem Chef-Architekten der Entwickler-Abteilung ab. Die müssen das ja irgendwann maintainen.
Performance ist auch ein möglicher Zielkonflikt zu Usability. Gilt auch: Wenn Du das als Entwickler gemanaged bekommst...

Ich hab mal auf youtube einen genialen Talk gesehen von einem Web-Entwickler und einem Typ von einer Werbe-Agentur.
Typ von Werbe-Agentur: Also der Entwickler stört bei der kreativen Planung der GUI. Sobald man da mit etwas wirklich innovativen, das noch nie jemand gemacht hat, vorschlägt, blockt der sofort ab.
Entwickler: Vielleicht gibt es auch einen Grund, warum das noch nie jemand gemacht hat.

Wenn das so abläuft, ist der Fehlschlag praktisch sicher. Aber wenn Du auf für oft berechtigten Usability-Wünsche Lösungen findest, wird das dich zu einem besseren Entwickler machen.

No easy way out und keine Patentrezepte. 

Ich stimm nicht mit allen überein, aber mit vielen und sowieso unterhaltsam -> https://www.youtube.com/channel/UCr9qCdqXLm2SU0BIs6d_68Q

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Offline koehlerbv

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Re: Die Dinge immer sehr technisch sehen
« Antwort #2 am: 11.11.14 - 23:44:33 »
Sebastian, meine Antwort ist sehr einfach (und doch sehr schwer umzusetzen,wenn man es ernst meint):

Ich habe (ich denke, es war 1995) in einer immer noch sehr heissen Sommernacht fernab der Heimat in einer Reha-Klinik, für die ich ein Patientenverwealtungsprogramm entwickelt habe, mir 200 .. 250 Krankenkassenuweisungen vorgenommen und diese in die neue Software eingegeben. Also genau einer der Jobs, der zweitfressend die User betrifft.
Am kommenden Morgen war ich völlig übernachtet, und die Erfasssungsroutine sah komplett (!) anders aus.
Das war ein prägendes Ereignis (ldeider erst im Jahr 3 meiner Notes-Entwicklererfahrung), und seitdem verfahre ich genau auf Basis dieser Erfahrung.

Ich denke, mehr muss man als Denkanstoss hier nicht sagen.

Bernhard

PS: Die entsprechenden Freigaben / Berechtigungen für Patientendaten habe ich damals natürlich gehabt. Und ich bin nach wie vor den Kolleginnen Elke B. und (Schande über mich - Name vergessen) unendlich dankbar für de fachliche Begleitung vor- und nachher und den Zuspruch, den ich "nachher" erfahren habe. Und gleiches gilt für all die Anwender, die konstruktiv seitdem de facto jeden Tag eiter mithelfen, dass *ihre* Notes-Anwendung* entsteht.
Das Thema "erforderliche Bremsen" ist ein anderes. Kaptiel 2.

PPS: Wenn Du solche Chancen nicht hast, hast Du nur folgende Alternative- resignieren oder abhauen. Ich habe das auch einmal machen müssen (2006).

Offline schroederk

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Re: Die Dinge immer sehr technisch sehen
« Antwort #3 am: 12.11.14 - 09:35:50 »
Ich kann mich nur dem Geschriebenen anschließen: Am Besten benutzt man das Programm selber, nicht um die Programmlogik zu testen und auch nicht nur für 2-3 Einträge. Wenn es 100+ werden, hat man eine ganz gute Einschätzung darüber, ob der Anwender damit zurecht kommt oder nicht.
Ansonsten: Einzelne Anwender schon früh mit einbinden und regelmäßig Feedback einfordern.
Und immer mit Überraschungen rechnen. Anwender können in der Bedienung Deines Programms äußerst kreativ werden  ;)
Ich wäre ja gerne weniger egoistisch, aber was hab ich davon?

Offline Tim Pistor

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Re: Die Dinge immer sehr technisch sehen
« Antwort #4 am: 12.11.14 - 15:59:34 »
Ich habe 2012 eine Anwendung für Disposition und Abrechnung von Patiententransporte entwickelt. In der Branche gehts um jeden Cent. Um die Anwendung deshalb möglichst performant zu gestalten, habe ich selbst ein paar Schichten sowohl als Disponent als auch als Fahrer übernommen.

Leider wird man nur selten die Möglichkeit haben für ein paar Tage in die Rollen der Anwender zu schlüpfen. Bei der Fahrdienst-Dispo hat sich dieser Aufwand aber absolut gelohnt. Die Anwendung hat davon mächtig profitiert. Jederzeit wieder.

Offline WernerMo

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Re: Die Dinge immer sehr technisch sehen
« Antwort #5 am: 12.11.14 - 20:51:15 »
...Leider wird man nur selten die Möglichkeit haben für ein paar Tage in die Rollen der Anwender zu schlüpfen. ...Jederzeit wieder.

Hallo,

auch von mir Zustimmung wie hilfreich das ist.
Ich habe dazu einen "Trick" entwickelt:
Die sogenannte "Lehrlingsrunde".
In den meisten Firmen ist jede Abteilung gewohnt, dass die Lehrlinge "die Runde" machen und auch bei Ihnen vorbei kommen.
Dabei müssen die Mitarbeiter dem Lehrling erklären, wie das hier funktioniert und was er/sie hier zu tun hat.
Sie sind es sogar gewohnt, dass man nicht "am Stück" da ist (weil ja immer wieder Berufschule ist).
Daher habe ich mit der Abteilung vereinbart, dass ich wie ein Lehrling behandelt werde und das gleiche "Programm" durchmache.

Das hat sehr gut funktioniert und die Leute haben sich "normal" verhalten wenn ich da war.
Auch Fragen wie "warum willst Du das wissen/sehen" sind nicht (mehr) gekommen.

Fazit: sehr empfehlenswert.

Gruß aus Weißenburg
Werner
PS: ich finde es super, dass Du Sebastian Dir darüber Gedanken machst.
Gruß Werner
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