Bernhard, das ist natürlich richtig, die Sprachqualität soll man nicht vernachlässigen. Mein Aufruf zur Toleranz zielt auf den leider wahrnehmbaren Unterton im Sinne: "Ich spreche xyz und wer es anders macht ist ein Angeber (oder sonst sowas ähnliches)". Mit dem Anspruch, nur noch "korrekte, vorschriftsentsprechende Sprache" zuzulassen, wird die Sprache absterben. Prominentes Opfer: Latein als Universitäts- und Wissenschaftssprache starb, weil man - vereinfachend gesagt - im Nachgang zur Renaissance nur noch "reines, klassisches Latein" als das "richtige Latein" anerkennen wollte, ein Sprachstand, den man an Cicero (und weil man ihn historisch nicht missachten konnte auch ein wenig an Caesar) anknüpfte. Damit war die Sprache auf einen Stand von ungefähr 50 vor u.Z. angebunden, oder besser gesagt eingefroren.
Andererseits darf man aber auch die "Strassen-" oder "Gossensprache" nicht unterschätzen. Auch sie hat ihren Sinn und Zweck: Eine der Hauptquellen für die sprachliche Weiterentwicklung. Durch die entgegengesetzten Tendenzen dieser beiden Phänomene ergibt sich ein Bild, dass auf der einen Seite die Sprache in neue Gefilde mit rasanter Geschwindigkeit gezerrt wird, während auf der anderen Seite mit ähnlicher Energie gezogen wird zwecks Erhaltung des Status Quo. Entscheidend ist ein einigermassen richtiges Gleichgewicht der Kräfte, so dass sich die Sprache gemächlich und verdaubar weiterentwickelt. Denn, sowohl bei einer zu schnellen Entwicklung (sog. Sprachverlotterung) wie auch bei einer zu langsamen Entwicklung verliert die Sprache ihren Hauptzweck: ein zweckdienliches Mittel zur Kommunikation, zum Informationsaustausch.