@Axel,
es ist schon länger erwiesen und physiologisch auch nachvollziehbar, daß frühkindliche Mangelernährung zu einem rapiden und irreversiblen Absinken des IQ führt.
Eine Umgebung, die eintönig und arm an kreativen Reizen ist, steht der Entwicklung des vollen geistigen Potentials ebenfalls im Wege.
Wenn zuletzt auch noch eine starke Perspektivlosigkeit besteht, wo Kindern zielgerichtete Planung, langfristiges Denken und dauerhaftes Bemühen nicht zusammen mit dem zugehörigen Erfolg präsentiert werden kann, dann verblöden sie einfach. Wo ihnen lediglich Gleichgültigkeit, Härte und Überlebenskampf begegnet, verrohen sie zudem.
In einer solchen Umgebung, in der vielleicht seit dem 10. Lebensjahr keine Perspektive, keine neue Anregung, kein neuer Gedanke und keine Alternative aufgetaucht sind, haben auch die späteren Erwachsenen die geistige Reife eines zehnjährigen - verhängnisvoll gepaart mit der zunehmenden geistigen Unflexibilität eines Erwachsenen. Über die Jahreszahlen kann man zwar streiten, aber es macht keinen Sinn, das verhängnisvolle Prinzip irgendwie zu beschönigen.
Es wäre auch falsch, diese Situation lediglich auf Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit zurückzuführen. Die Gleichgültigkeit ist das wahre Übel. Wo sie andauernd vorgelebt und erlebt wird, hält sie auch Einzug.
Zwar wird an vielen Orten auf der Welt Kindersegen mit sozialer Absicherung gleichgesetzt, andererseits erfährt das Kind aber keine Wertschätzung, ist als Individuum austauschbar.
In manchen Regionen erhalten Kleinkinder noch nichtmal einen Namen, bis sie vier oder fünf sind - man geht davon aus, daß sie wahrscheinlich eh' vorher sterben.
Anderswo werden neugeborene Mädchen abgeschlachtet, um ihnen später keine Mitgift geben zu müssen oder weil sie zur Kinderarbeit weniger belastbar sind oder weil ein männlicher Stammhalter erwartet wird. Oder sie werden auf grausamste (und lebensgefährliche Weise) verstümmelt, um erfolgreicher betteln zu können. Oder man kauft bzw. entführt sie, foltert sie, zwingt sie als Kanonenfutter in den Kriegsdienst.
Oder man zieht sie nur für den (Kinder-)Strich oder zur Sklaverei auf. Oft ist die Erwartungshaltung der Familie die, daß dank kindgesicherter Existenzgrundlage kein weiterer eigener Beitrag und kein weiteres, eigenes Engagement mehr erforderlich ist. Man schlägt die Zeit tot und pumpt die Schwester an, die in der Stadt auf den Strich geht.
Die Beobachtung, daß ein erfolgreicher Wandel immer nur aus der Gesellschaft hervorgehen kann ist wohl zutreffend, aber eher ein Symptom. Die Ursache des Wandels liegt m.E. im Durchbrechen der Gleichgültigkeitsbarriere der Umgebung begründet.
Der Wert langfristiger Patenschaftsprogramme für Kinder liegt mE nicht in einer rundum-sorglos-Versicherung, sondern darin, daß das Kind eine Zuwendung erfährt - auch wenn diese materiell ist. Dennoch erfährt es, daß es irgendjemandem auf dieser Welt *nicht* völlig egal ist, ob es lebt oder krepiert. Irgendjemand bemüht sich um Wandel, um Änderung, um Nachhaltigkeit. Die Kinder entwickeln Ehrgeiz, Fähigkeiten wie schreiben und lesen, um die man sie beneidet. Körperliche Stärke ist nicht mehr allein das ausschlaggebende, plötzlich haben auch Schwache, Kranke und Behinderte die Chance, integriert und anerkannt zu werden. Neue Perspektiven, neue Chancen und Wahrnehmungen tun sich auf, werden wahrgenommen und ergriffen. Bestehendes wird hinterfragt, verbessert oder über Bord geworfen und ersetzt. Ein neues Ich- und Wir-Gefühl entsteht. Und das sind die Keimzellen, aus denen die Gesellschaft die Kraft zum zunehmenden Wandel schöpft.
Das ist zumindest der Schluß, zu dem ich gekommen bin.
Paradoxerweise denke ich, daß Waisenkinder hier sogar die besseren Chancen haben, einen solchen Wandel zu erfahren und durchzusetzen, wenn die Betreuung vor Ort funktioniert. Der permanente Erfahrungshorizont einer Familie, wo jede Form von Zuwendung spätestens 2 Tage später versoffen und verjubelt ist dürfte sich hingegen eher schädlich auswirken.
Oh ja, entsprechendes gibt's leider auch in Deutschland. Alleinerziehende Mütter, die pünktlich zum Ende des Erziehungsurlaubes wieder schwanger sind, aber den Vater nicht nennen wollen, sind hierzulande wohl gar nicht mal so selten (ein persönlicher Kontakt zu Sozialamtsmitarbeitern ist schon ein echter Augenöffner). Da werden dann auch die größeren Geschwister gleich mit eingespannt oder aber auf die Straße abgeschoben.
Ich hatte wenigstens noch den Schlüssel um den Hals, weil meine Eltern beide arbeiten gingen. Mittlerweile tragen wohl nicht wenige Kinder den Schlüssel, weil die Eltern nicht arbeiten wollen.
Was mich mit ziemlicher Sorge erfüllt - werden diese Kinder wirklich zu einen produktiven Teil der Gesellschaft und zahlen Rente ein? Oder sind sie lediglich die Sozialempfänger von morgen - bzw. von heute; der Anteil der jugendlichen Sozialhilfeempfänger ist erschreckend hoch.
Es ist ein typisch deutsches Schicksal, daß da wegen Diskriminierungsgefahr jede Erhebung verboten und jede Einsicht geächtet ist. Dabei könnte gerade die zur Lösung von soviel Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit beitragen...