Autor Thema: Erdbeben in einem erdbebengewoehnten Land  (Gelesen 2259 mal)

Offline flaite

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Erdbeben in einem erdbebengewoehnten Land
« am: 09.03.10 - 17:16:14 »
Hi,

vermutlich haben hier (Sued-Zentral Chile) mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren. Viel mehr ihr Haus. Zahlreiche (bereits vorher) baufaellige Hospitaeler sind zerstoert. Einige Schulen auch. Letzteres kann mit Feldhospitaelern recht gut ersetzt werden und wird in den naechsten 3 Jahren, hoffentlich verbessert, aufgebaut werden.
Wohn seit 5 Tagen 140 km vom Epizentrum. Die meisten Nachbeben merk ich nicht. Ein 5,8 Nachbeben hab ich verschlafen. Ein anderes der Staerke 6,6 war nicht wegzudiskutieren, hab aber das Haus nicht verlassen. Mich allerdings unter einen Tuerrahmen gestellt.
Spaetestens seit 1960 wird hier Wert auf erdbebensicheres Bauen gelegt. Dieses Haus soll sich an jenem Samstagsmorgen wie ein Schiff auf dem Meer angefuehlt haben. Ein grosser Fernseher ist auf den Boden gefallen. Das gesamte Geschirr auch. Allerdings gibt es nicht einen Riss. Und das ist keine Villa, sondern ein typisches 85 qm Mittelschichts-Haus. Im gesamten Viertel kaum Schaeden an den Haeusern, ausser kleinere bei ueberalterten Daechern.
Bin an jenem Samstag um 4:20 Uhr in Sao Paulo zwecks Umsteigen angekommen. Nach verwirrenden Tagen und fehlenden Nachrichten aus Chillan (kein Strom, kein Telefon, kein Internet) bin ich ueber Buenos Aires und dann per Bus nach Santiago in 24 Stunden durch Pampas und Anden (davon 12 Stunden schlafend wg. guten Liegesitzen und viel Beinfreiheit).   
Dann weiter 8 Stunden quer durch die stark getroffenen Regionen del Maule und del Bio Bio (nr. 7 und 8).  Allerdings selbstverstaendlich nicht ueber die stark getroffene Kueste. Auch das hab ich weitgehend verschlafen. Dann mit ca. 300 Personen (unter ihnen spielende Kinder und Rentner) in der Busstation auf das Ende der Ausgangssperre warten. Zwischendurch kamen Soldaten mit Maschinengewehr und Tarnuniform. Sie brachten eine Mutter mit einem weinenden Kind nach Hause.

Nach wie vor gibts eine Ausgangssperre, bei der man sich aber auch ein wenig verspaeten kann, um nach Hause zu kommen (selbst ausprobiert).

Die Medien werden nach wie vor zu 95% vom Erdbeben beherrscht. Gibt eine grosse Solidaritaetswelle, wird viel Geld gespendet, Freiwillige bauen die Kueste wieder auf, etc.

Trotz aller Pannen:
- die ausgebliebene Tsunami-Warnung der lokalen Behoerden, wobei zumindest die Einheimischen wussten, dass man sich nach dem Beben in die Huegel begibt.
- die verspaetete Ausrufung des Ausnahmezustands inklusive Militaers in den Strassen in einem Land, mit gewissen schlechten Erfahrungen in einer Militaerdiktatur.
- die Konzentration des internationalen Flugverkehrs auf weitgehend genau 1 Flughafen.
- der nun aufgedeckte Pfusch am Bau einiger groesserer Gebaeude
- der bekannt katastrophale bauliche Zustand vieler oeffentlicher Krankenhaeuser.

scheint das Land gut mit einem der groessten Beben der Geschichte fertig zu werden.

Koeln wuerde nicht mehr stehen  ::)

Gruss Axel 
Ich stimm nicht mit allen überein, aber mit vielen und sowieso unterhaltsam -> https://www.youtube.com/channel/UCr9qCdqXLm2SU0BIs6d_68Q

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(Hier respektiert man nicht einmal das Gesetz des Dschungels)

Nicanor Parra, San Fabian, Región del Bio Bio, República de Chile

Offline koehlerbv

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Re: Erdbeben in einem erdbebengewoehnten Land
« Antwort #1 am: 09.03.10 - 19:07:53 »
Danke für den Bericht, Axel. Man sieht solche Katastrophen immer mit einem ganz anderen Auge, wenn man selber Betroffene in dem Gebiet kennt und von ihnen hört (oder eben auch nichts mehr).

Ein Forumsmitglied, das sicherlich auch einige von uns zumindest vom Telefon kennen, wohnt seit geraumer Zeit in Santiago de Chile. Zu meiner grossen Beruhigung hat er noch an dem Sonnabend auf meine Mail geantwortet. Er und seine Frau sind wohlauf, die Wohnung teilweise verwüstet, aber bewohnbar. Auf Fernsehen kann man sicherlich mindestens eine Weile verzichten (der Empfang funktioniert rein technisch, aber wenn die Empfänger nicht mehr tun ...). Und ich habe mich mal in unsere Küche gestellt und mir (wie gesagt: Mit ganz anderen Augen) vorgestellt, wie es wäre (und was zu tun wäre), wenn jeder Schrank, jedes Bord etc. seinen Inhalt auf den Boden expediert hätte. Was dann alles zu tun wäre. Was sicherlich neu zu beschaffen wäre. Wohin mit dem ganzen Müll? Andere Mietparteien hätten ja zumindest ähnliche Abfallmengen.

Aber solche Schäden sind mehr als endlich und im Vergleich zu anderen Betroffenen Lappalien. Und darüber kann man sich dann schon wieder sehr freuen.

Bernhard

Offline flaite

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Re: Erdbeben in einem erdbEebengewoehnten Land
« Antwort #2 am: 10.03.10 - 17:58:53 »
Ein 8,8 Beben soll sich wie eine grosse Schlange anfuehlen, die sich unter dem Haus bewegt. Da war ich aber noch nicht da.
Persoenlich bin ich allerdings sehr tiefenentspannt. Gestern gabs wieder ein kurzes 5,4 Nachbeben 55 km von hier. Mein erster Gedanke war, dass wir besser ein paar mehr Pfirsiche vom Baum gepflueckt haetten. Natuerlich auch ein wenig pervers. Kinder sind beunruhigt. Eine recht rationale Bekannte redete gestern davon, dass es ein weiteres schweres Beben geben wuerde, die Regierung aber schweigen wuerde, um eine Panik zu verhindern. Ein solches Doppelbeben hats in der umfangreichen Erdbebengeschichte Chiles nie gegeben. 
http://ssn.dgf.uchile.cl/home/terrem.html
Im Radio erzaehlten sie eben von einer Familie, die Zelte im Wohnzimmer aufgespannt werden soll. Was das helfen soll, weiss ich auch nicht.
Interessant ist, das Wohngebaeude hier wesentlich weniger getroffen sind als gewerblich oder oeffentlich genutzte Gebaeude. Auf dem Weg in die Stadt gibts etwa einen Autohaendler, bei dem eine Mauer auf 5 oder 6 Autos gestuerzt ist. Im Gefaengnis ist eine Mauer umgefallen. Die fliehenden Insassen haben direkt noch ein paar Haeuser in der Umgebung abgebrannt. Aeltere Kirchen sind zerstoert. Auf dem Land rundrum gibts allerdings noch viele alte Lehmziegelhaeuser, die oft zerstoert sind. Scheint jedenfalls moeglich sein, ziemlich erdbebensicher zu bauen. Zerstoerte Haeuser in Santiago sind meines Wissens oft auf Pfusch am Bau zurueck denzufuehren. Gegen einen Tsunamis kann man natuerlich wenig machen (ausser nicht an der Kueste leben). Hier in Chillan gibts sehr wenige ueber 3-stoeckige Gebauede. Das 3 stoeckige grosse Einkaufszentrum ist sehr teilweise wieder geoeffnet. Militaers regeln den Zutritt. In 3 Monaten soll das wieder vollstaendig renoviert sein.

Gruss Axel
Ich stimm nicht mit allen überein, aber mit vielen und sowieso unterhaltsam -> https://www.youtube.com/channel/UCr9qCdqXLm2SU0BIs6d_68Q

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