Autor Thema: Kaum zu glauben, aber es ist so.  (Gelesen 1597 mal)

MOD

  • Gast
Kaum zu glauben, aber es ist so.
« am: 30.04.04 - 12:09:24 »
Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, speziell was der Gesetzgeber und die Bürokraten, die Medien und die Informationsgesellschaft uns täglich vorbeten und verbieten, müssten wir alle, die in den Sechzigern bis Ende der Siebziger aufgewachsen sind, längst tot sein.

Unsere Kinderbetten waren mit bleihaltigen Farben bemalt und Formaldehyd sickerte aus jeder Pore. Ganz zu schweigen vom Tapetenleim, dem Kleber des Linoleums oder den PVC-Dämpfen des Stragula. Wasserfeste Filzstifte hatten Ausdünstungen die benebelten und wer erinnert sich noch an den leicht salzigen Geschmack des abzuleckenden Tintenkillers?

Steckdosen, Medizinflaschen, Schranktüren und Schubladen waren noch nicht kindersicher. Messer, Schere, Gabel und Licht wurden uns zwar verboten, aber meistens mussten wir uns erst einmal daran verletzten um es zu glauben.

Unsere Fahrräder, Roller und Rollschuhe fuhren wir ohne Schützer und
Helme. Die Risiken, per Anhalter in den nächsten Ort zu fahren, waren uns unbekannt!

Zum Thema Auto erinnere ich mich weder an einen Sicherheitsgurt, noch an Airbags, ABS oder ähnliche Sicherheitsvorrichtungen im Wagen meines
Vaters. Kindersitze gab es noch keine. Man saß zwar hinten, aber an einem heißen Sommertag gab es doch nichts schöneres, als seinen Kopf aus dem Fenster (das man damals noch komplett runterkurbeln konnte) des fahrenden Autos zu stecken und sich den Fahrtwind ins Gesicht blasen zu lassen, dass man kaum noch Luft bekam.

Wasser haben wir direkt aus dem Gartenschlauch getrunken und nicht aus
einer Flasche. Wahnsinn! Wir aßen fettige Schmalznudeln und frischgebackenes Brot mit fingerdick Butter drauf, dazu gab es überzuckerte Limonaden oder künstlich gefärbtes Tri Top. Fett geworden sind wir deswegen nie, weil wir immer draußen waren. Wir haben zu fünft aus einer Limoflasche getrunken und es ist tatsächlich keiner daran gestorben.

Wir haben stunden- und tagelang an Seifenkisten oder ähnlichen Gefährten geschraubt, die wir aus rostigem Schrott, alten Kinderwagen und splitterigem Holz konstruiert hatten. Dann sind wir den Hügel damit runter gebrettert nur um festzustellen, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Nachdem wir ein paar Mal in der Böschung gelandet waren, haben wir gelernt auch dieses Problem zu lösen.

Wir gingen in der Früh raus und haben den ganzen Tag gespielt, höchstens unterbrochen von Essenspausen und kamen erst wieder rein, als es dunkel wurde und man den Fußball nicht mehr richtig sehen konnte. Wir waren nicht zu erreichen. Keine Handys! Wenn es regnete spielten wir bei Freunden Monopoly oder Mensch ärgere dich nicht, Mühle oder Dame und bauten mit Matchbox-Autos und Wäscheklammern ganze Städte auf. Wir hatten weder Playstation oder Nintendo, X-Boxen oder Videospiele, keine PCs, keine 50 Fernsehkanäle oder Surround Anlagen.

Ins Kino zu gehen war ein Ereignis, für das man sich herausputzte und das einem vor Vorfreude den Magen kribbeln ließ. Es gab noch Vorfilme, die immer eine Überraschung waren, weil keiner wusste was zu erwarten war und wenn zufällig ein Donald Duck oder Micky Maus Film dabei war,
hatte man das ganz große Los gezogen.

Wir hatten Freunde! Wir gingen raus und haben uns diese Freunde gesucht. Wir haben Fußball gespielt mit allem was sich kicken ließ und wenn einer einen echten Lederball hatte war er der King und durfte immer mitspielen, egal wie schlecht er war. Um im Verein mitspielen zu dürfen gab es Aufnahmeprüfungen, die nicht jeder bestanden hat. Wer es nicht geschafft hat, lernte mit der Enttäuschung umzugehen.

Wir hatten Unfälle! Es waren einfach Unfälle an denen wir Schuld waren. Es gab niemanden, den man dafür verantwortlich machen konnte oder vielleicht sogar noch vor den Kadi zerrte. Unsere Knie und Knöchel  waren von Frühjahr bis Herbst lädiert. Wenn wir uns an Brennnesseln gebrannt haben, oder uns eine Mücke gestochen
hatte, haben wir entweder drauf gespuckt oder den Hund des Nachbars drüber lecken lassen. Geholfen hat alles.

Wir haben auf Baustellen herumgeturnt, sind aus dem 2. Stock in Sandhaufen gesprungen, mit Feuer gezündelt, mit Schwarzpulver experimentiert und mussten immer aufpassen, nicht erwischt zu werden.

Die selbstgeklauten Äpfel schmeckten am besten, gleichwohl wir davon
Durchfall bekamen und die Klamotten vom Stacheldraht zerrissen wurden. Bei illegalen Kartoffelfeuern mussten wir immer auf der Hut sein nicht erwischt zu werden.

Wir haben gestritten und gerauft, uns gegenseitig grün und blau geprügelt und gelernt damit zu leben und darüber weg zu kommen.
Wir haben Spiele erfunden mit Stöcken und Bällen, haben mit Ästen
gefochten, mit selbstgeschnitzten Pfeilen aufeinander geschossen und Würmer gegessen. Und obwohl es uns immer wieder prophezeit wurde,
haben wir kaum ein Auge ausgestochen und die Würmer haben auch nicht in uns überlebt.

Wir waren für unsere Aktionen selbst verantwortlich. Konsequenzen waren immer zu erwarten, wenn wir Scheiße gebaut hatten. Der Gedanke, dass ein Elternteil uns rausklopft wenn wir mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, war undenkbar. Im Gegenteil, die Eltern stellten sich auf die Seite des Gesetzes.

Die letzten 50 Jahre waren eine wahre Explosion an Innovationen und Ideen. Wir hatten Freiheit und Zwang, Erfolg und Misserfolg, Verantwortung und Konsequenz. Und wir haben gelernt damit umzugehen.

Erinnere Dich daran, wie Du aufgewachsen bist und Du wirst sehen, was
unseren Kindern heute fehlt. Als die Eltern einmal ein Auge zudrückten, anstatt die Kinder mit übergroßer Vorsicht zu erdrücken.
Unsere Eltern trauten uns zu die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Meistens hat es geklappt. Die paar Mal, die daneben gingen zählen wir zu unseren Lebenserfahrungen.

Es soll nur als Anregung dienen.

 ;D MOD

Glombi

  • Gast
Re:Kaum zu glauben, aber es ist so.
« Antwort #1 am: 30.04.04 - 12:22:34 »
Würmer habe ich zwar nicht gegessen, aber ansonsten: Es stimmt  ;D
Es fehlt noch die Fahrt mit dem Schlitten, der an der Anhängerkupplung des vorausfahrenden Wagens von Papa befestigt war. Und damals gab es noch nicht mal bleifrei (jedenfalls in den 70ern, früher glaube ich schon).

Andreas

Offline TMC

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Re:Kaum zu glauben, aber es ist so.
« Antwort #2 am: 30.04.04 - 20:36:10 »
Cool   8)

Ich kann praktisch auch fast alles bestätigen inkl. den Schlittenfahrten an Papa's Auto  ;D  Wobei ich zwischen 70ern und 80ern aufgewachsen bin.......
Aber es fehlt hier im Text noch das Einhängen an Zugmaschinen mit dem Arm, um die Tretarbeit mit dem Fahrrrad zu erleichtern :-) Würmer hab ich auch noch nie gegessen, wir haben damit schwarzgefischt - war irgendwie zielführender  :-)



Matthias

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